Hinweis: Die Ruhrnachrichten Bochum greifen meine Kritik in ihrer heutigen Ausgabe auf. Ich gehe darauf am Ende dieses Beitrags ein.
Die Domain des Internetauftritts*Â meiner verflossenen Heimatstadt Bochum zum Kulturhauptstadtjahr 2010 hat etwas von arglistiger Täuschung. www.Bochum-2010.de soll man in die Adresszeile des Browsers eingeben um hierher zu gelangen.
Was man dort zu Gesicht bekommt, erinnert jedoch von der Anmutung eher an die Webästhetik des Jahres 1999. Und selbst damals hätte man dem verantwortlichen „Designer“ sein Werk um die Ohren gehauen:
Die Kopfgrafik ist so breit angelegt, dass die Seite auf meinem MacBook nicht einmal in voller Breite dargestellt werden kann. Die grafischen Elemente scheinen der Grabbelkiste des Homepage-Baukastens eines pleite gegangenen Billigproviders zu entstammen. Die Typo wirbelt wild durcheinander. Und mit passenden und unpassenden Photos hat man sich wohl einfach beim großen Bruder eingedeckt. Über den Salat von halbgaren Texten muss man da kaum noch reden.
Wie um die Peinlichkeit zu krönen, brüsten sich die Macher von Bochum-2010 zu allem Überfluss wie pickelige Domaingrabber mit weiteren originellen Domains wie bochum2010.eu und i-pott.eu. Jedoch nicht mit bochum2010.de. Die haben sie nämlich nicht.
Nein. Bochum ist nicht (offiziell) Kulturhauptstadt Europas. Diese formal auf einzelne Städte beschränkte Rolle hat Essen übernommen und sich – entgegen dem Konzept der Bewerbungsphase – in jüngster Zeit wieder stark in Vordergrund gedrängt. Man kann Essen diesen Egoismus vorwerfen. Doch zu dessen Erfolg gehören auch diejenigen, die sich die Butter vom Brot nehmen lassen.
Bochum – das sich einmal Stolz als Herz des Ruhrgebiets verstand – hat die Beteiligung am Thema Kulturhauptstadt – so scheint es – komplett verschlafen. Der Bau des Konzerthauses ist noch nicht einmal begonnen, der symbolisch so wichtige Platz des Europäischen Versprechen steht auf der Kippe. Und im Internet präsentiert man das dürre Programm auf dem Niveau der Kleinstadt Herten. Nur das die das überraschenderweise viel besser hinbekommt**.
Ich werde immer mal wieder gefragt, ob es nicht ein Fehler war, aus Bochum zurück an den Jadebusen zu ziehen. Ein Frage, die ich bislang nie deswegen verneint habe, weil ich nun nicht mehr in Bochum bin, sondern weil ich nach hier oben einfach besser passe. Beim Anblick von bochum-2010.de hatte ich erstmals kurz den Gedanken, „Gut, dass ich da weg bin.“
Aber, liebes Bochum! Du hast diese Verhöhnung aus dem Rathaus nicht verdient. Das kulturelle Potential, dass auf Deinem Gelände steht, muss nicht mal gehoben, sondern nur gezeigt werden. So zum Beispiel. Aber dazu später mehr.
Nachtrag: Die Ruhrnachrichten Bochum greifen meine hier geäußerte Kritik auf und haben die Macher bei der Stadt Bochum dazu befragt. Deren „Rechtfertigung“: Kein Geld und außerdem musste es barrierefrei sein.
In der Tat ist es natürlich so, dass die Budgets bei der Stadt Bochum extrem knapp sind. Hoffentlich liegt es nicht daran, dass man auch bei anderen Haushaltspositionen mit so irrwitzigen Summen wie den ins Spiel gebrachten „50 bis 80.000 Euro“ kalkuliert. Man muss die Agentur ja nicht gleich kaufen.
Dass man sich in Bochum um Barrierefreiheit bemüht, ehrt die die Stadt sehr. Dafür „auf Spielereien wie Flash-Grafiken“ zu verzichten, tut niemandem weh. Wenn Barrierefreiheit jedoch bedeutet, dass eine Internetseite zu einer ästhetischen Zumutung und zudem äußerst unübersichtlich gerät, baut man mehr Barrieren auf, als dass man welche vermeidet.
(Noch ein Nachtrag: Nach Einschätzung zweier Experten ist mittlerweile klar, dass die Seite alles Mögliche, aber sicher nicht barrierefrei ist. Vgl. dazu auch die Kommentare.)
Im Artikel der Ruhrnachrichten heißt es, Bochum sei eine Stadt, „deren kulturelles Angebot sich sicher nicht verstecken muss.“ Schade, dass sie es mit diesem Internetangebot dennoch versucht.
Wie es besser und mit ebenfalls äußerst schmalen Budget geht, zeigt die Stadt Duisburg. Für einen Bruchteil der im Artikel genannten Summen hat man dort einen Leuchturm aufgestellt. Der jedoch zeigt nur das hochoffiziell Vorzeigbare. Darunter entwickelt sich eine höchst lebendige von Kulturschaffenden und Bürgern getriebene Internetszene. Mehr dazu auch hier von Frank Tentler.
Noch ein Wort an den RN-Autor Max Florian Kühlem: Ja, es stimmt. Es gab viel Kritik während der Vorbereitungsphase der Ruhr.2010. Manches mag ungerechtfertigtes Gemäkel gewesen sein. Doch das meiste war ernst gemeinte, konstruktive Sorge um den Erfolg des Projekts. Und spätestens seit der Eröffnungsveranstaltung liest man auch in den Blogs des Potts von viel Begeisterung für ein großes Festival im Ruhrgebiet.
* Passte dieser sperrige Begriff je besser als hier ;) ?
** Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Herten unter den kleineren Städten eine löbliche Ausnahme darstellt. Wenn man über die Seiten von Breckerfeld bis Oer-Erkenschwick surft, gewinnt man den Eindruck, die Ruhr2010 sei eher ein mittelmäßiges Stadtteilfest, denn ein Ereignis von europäischem Rang.
Ich weiß gar nicht, was Du hast. Ich finde der „Auftritt“ pass perfrekt zum nicht vorhandenen Kulturstadtkonzept Bochums. Es ist wirklich peinlich, was sich Bochum leistet. Allein die Tatsache, dass man es nicht geschafft hat, Picknick auf der A40 und Bochum total versetzt stattfinden zu lassen, zeugt schon von organisatorischem Dilletantismus.
Es ist so traurig, schließlich hat diese Stadt wirklich viel zu bieten. Das mindeste, was man hätte erwarten können, wäre gewesen, das kreative Potenzial der eigenen Kulturschaffenden und der kulturinteressierten Bürger zu nutzen. Hierfür hätte man nur eine „Mitmach-Plattform“ schaffen müssen, die sich quasi selbst mit Content füllt. „Kulturhauptstadt von unten“. Aber das setzt natürlich Willen und Kreativität bei den Verantwortlichen voraus.
Au contraire Monsieur Korten! ;)
Soviel ich weiß, lag das nicht in der Hand der Stadt Bochum, dass BO total und (befürchtetes) A40-Chaos gleichzeitig stattfinden.
Vieles in Bochum ist natürlich ein Problem des Finanzmangels. Es gibt eine Haushaltssperre. Noch größer ist aber das Problem der mangelnden Priorisierung: Es gibt keine Idee wo die Stadt hinsoll – auch nicht, was die Kultur betrifft. Man will alles, möglichst gleichzeitig, und niemanden enttäuschen. Das funktioniert natürlich nicht und so ist man dabei die Chance, die 2010 hätte sein könne, zu vergeben.
@Stefan: Weiß ich doch ;) Aber ist es wirklich so schlimm, dass es in der Peinlichkeit dieser Internetseite gipfeln musste? Jedes WordPress-Standard-Theme hätte mehr hergegeben.
Djure bat mich um meine Meinung zur Barrierefreiheit der Seite.
Hm, also erstellt wurde sie mit „NetObejcts Fusion“ und basiert auf einem Tabellenlayout. Das Menü ist über JavaScript realisiert.
Im gesamten Quelltext sind massenweise inline-CSS verwendet worden, die Schrift ist in „pt“ ausgewiesen, was ein K.O.-Kriterium für barrierefreie Seiten darstellt. Für barrierefreie Internetseiten sollten „%“ verwendet werden.
Es fehlen Skiplinks, wenigstens haben die Grafiken Alternativtexte.
Aber wenn die genannte Summe für dieses Projekt zutrifft, dann hat sich damit jemand ne goldene Nase verdient.
Insgesamt meine ich, dass die Seite beschämend ist. Sowohl für die Veranstalter als auch für den Ersteller der Seiten.
Hallo Florian,
Du bittest mich kurz drüber zu gucken, was die Seite http://www.bochum-2010.de in Bezug auf Barrierefreiheit zu bieten hat. Ich würde hier sogar sagen, nicht zurück nach 1999, ich würde sagen, „back to the 80th“!!! Die hat weder was mit Barrierefreiheit noch generell was mit gutem Webdesign zu tun. Der Macher hat weder Ahnung von Barrierefreiheit, ich vermute aber auch, dass er nicht weiß, was HTML ist, da kennt sich nur jemand gut mit seiner Software aus.
Also, was auf den ersten Blick auffällt:
* Seite ist breiter als 1024 und wirft horizontale Scrollbalken, das ist tabu.
* Schrift ist nicht skalierbar.
* absolut antiquiertes Tabellen Layout, selbst schlechte Webagenturen liefern heute alle DIV-Layouts mit LI-Listen-Navigationen.
* Es sind sogar keine Inline-Style, sondern es werden HTML-Attribute verwendet. Das ist sogar 70er! Hier könnte der Quelltext der Seite um 90% geschrumpft werden, was schnellere Ladenzeiten bedeutet und obendrein Kosten für den Datentransfer reduziert. Für den Nicht-Techniker: Stellen Sie sich vor, sie laden 300 Leute zu einer Party ein – und sie schreiben die Einladung für jeden Gast handschriftlich neu – so ergonomisch ist der Quelltext hinter der Seite gebaut.
* witziger Weise wollte ich das CSS abschalten, aber es passierte nichts. Weil – es gibt gar kein CSS! Das CSS, was vorhanden ist, ist ebenso schlecht wie das HTML, und nicht wirklich von Bedeutung für das Layout der Seite.
* Keine Mouseover fürs „Durch-Tabben“ der Links.
* Navigationselemente sind als Grafiken gesetzt, die könnten als Schriften das gleiche liefern. Zumal werden in der oberen Leiste externe Links, auf der linken Seite interne Seiten angesprungen werden. Das musste ich als Fachmann auch erst mal verstehen.
* die Alt-Texte sind miserabel gesetzt (wahrscheinlich sogar eher zufällig aus der Software heraus).
* eine grobe Regel – nicht mehr als 7 Navigationselemente pro Navigation – wurde massiv überschritten
* Keine Suche oder Sitemap
…soweit ein kurzes Drüber-Gucken…
Also, ich würde das Geld zurück verlangen, dass ist Schrott – das eine gute hat es – ich bin jetzt richtig wach… Unbegreiflich, wenn das ein Kaninchenzüchterverein so machen würde, dann wäre das OK, aber das sind nun wirklich unsere Steuergelder!
…nun denn, die Hoffnung stirbt zuletzt!
@Florian, @Stephan: Nur kurz angemerkt. Die 50 bis 80 TE haben die Bochumer nicht ausgegeben. Sie glauben nur, dass sie sie hätten ausgeben müssen, um eine Agentur beauftragen zu können. Ich weiß allerdings nicht, was schlimmer ist.
Mit Grauen verfolge ich die Entwicklung der Stadt Bochum in den letzten Jahren… Und nun wurde dieser das „i-Tüpfelchen“ aufgesetzt.
Die „Bochum 2010“ Website ist für mich ein Paradebeispiel einer vollkommenen Ignoranz gegenüber den „neuen Medien“, man sehe sich nur mal das offizielle bochum.de an!
Am meisten verärgert mich jedoch die Haltung der Verantwortlichen, die statt auf die Kritik einzugehen, mit haltlosen Zahlen (50 bis 80 TE) und fadenscheinigen Ausreden, ihr Handeln rechtfertigen wollen. Das schlimme daran: Bochum verfügt über eine aktive Kreativ- und Agentur-Szene, die jedoch bis auf die jährlichen Steuergelder, wohl noch nicht im Rathaus angekommen ist. Auch der Spruch „aus Fehlern lernt man“, scheint bei den Oberen unserer Stadt bedeutungslos zu sein… Ich erinnere nur an das Desaster der Image-Kampagne „Bochum macht jung“!
Ich als Bochumer schäme mich für den medialen Auftritt unserer Stadt und hoffe, dass die Verantwortlichen in Zukunft sinnvoller und bedachter mit unseren Steuergeldern umgehen.