Ich hoffe, der NWZ-Redakteur Franz-Josef Höffmann hatte gestern einen harten Tag, musste Artikel für drei schrubben und zwischendurch noch zum Zahnarzt. Dann – vielleicht und mit viel gutem Willen – wäre dieser Satz, den er an das Ende seines Artikels über die Verurteilung eines Mannes wegen Vergewaltigung minderjähriger Kinder geschrieben hat, zu entschuldigen:
„‚Wir können in der Tat nicht feststellen, das der Angeklagte homosexuell oder gar pädophil ist.'“
(Quelle: NWZ, Hervorhebung von mir)
Der Satz ist nicht vom Autor selbst. Gesagt haben soll ihn der Vorsitzende Richter am Landgericht Oldenburg Holger Jaspert. Sollte der Satz tatsächlich so und ohne aufklärenden Zusammhang gefallen sein, dann wäre das ein Skandal an sich. Homosexualität auf diese Weise zur Pädophilie in Zusammenhang zu stellen, bedient auf übelste Weise die Ressentiments aus Zeiten vor Abschaffung des §175, die leider an vielen Stammtischen immer noch gepflegt werden.
Auf jeden Fall ein Skandal ist, dass dieser Satz in dem Artikel von Höffmann dort einfach so im ohnehin ziemlich missglückten letzten Absatz herumsteht. Ohne jeden Kommentar, jede Erklärung.
Ich hielte es für angemessen, dass sich der Autor und/oder Chefredaktion der NWZ schnellstmöglich zu diesem Satz äußern und außerdem aufklären, was dort bei Gericht tatsächlich gesagt wurde.
Hinweis: Der Autor und die NWZ haben die Sache mittlerweile aufgeklärt. Dazu bitte unbedingt auch die Kommentare lesen.
Hallo Herr Meinen,
nach Rücksprache mit der Redaktion kann ich Ihnen schon einmal mitteilen, dass es sich um ein Zitat von Herrn Jaspert handelt und dass der Satz nicht vom Autoren Herrn Höffmann stammt.
Der genaue Sachverhalt liegt mir aber noch nicht vor.
Schöne Grüße,
Daniel Schütte
@Daniel Schütte: Danke für die erste Aufklärung. Die Gerichtspressetelle dürfte inzwischen geschlossen sein. Aber vielleicht lässt sich das ja für die Dienstagsausgabe der NWZ aufbereiten?!
Eine schwierige Aussage.
Als ich diesen letzten Satz gesehen haben, war ich zuerst erschüttert. Doch denke ich, dass man dies mal beim zuständigen Landgericht Oldenburg erfragen sollte, um den wirklichen Inhalt der Aussage des Richters zu erfassen. Danach könnte, sofern dort keine Differenzierung stattgefunden hat, diese kritische Aussage in Zweifel gezogen werden.
Wir müssen das genauer beobachten…
Völlig richtig. Um den Richter wegen des Satzes zu kritisieren, bedürfte es genauer Recherchen, in welchem Gesamtzusammenhang das gesagt worden ist. Deswegen konzentriere ich mich ja erst mal auf den Autor der NWZ bzw. deren Chefredaktion. So, wie es da in der NWZ gestanden hat, ist ein schwerer Fehlgriff, der korrigiert oder kommentiert gehört.
Hallo Zusammen,
ich hab mich gerade mit dem LG Oldenburg in Verbindung gesetzt. Dort wird die Angelegenheit geprüft und mir wird diesbezüglich eine kleine Stellungnahme übersandt. Danach kann erst der Zusammenhang klar verstanden werden. Es wird aber vermutet, dass der Satz aus dem Zusammenhang gezogen wurde.
Bis zum Ergebnis
D.
Hallo Herr Meinen,
anbei nun die Stellungnahme von Herrn Höffmann zum angesprochenen Zitat.
_____
Weder ich als Autor des Berichtes noch der Richter Jaspert werfen Homosexuelle und Pädophile in einen Topf. Das steht auch nicht im Text.
Wenn ein erwachsener Mann Kinder sexuell missbraucht, stellt sich für das Gericht die Frage, ob er pädophil ist.
Wenn ein erwachsener Mann männliche Jugendliche vergewaltigt, stellt sich für das Gericht die Frage, ob er homosexuell ist.
Im vorliegenden Fall soll der Angeklagte sowohl Kinder missbraucht als auch männliche Jugendliche vergewaltigt haben. Warum er das tat, konnte das Gericht nicht feststellen. Oder anders: Es ließen sich weder homosexuelle Neigungen noch pädophile Neigungen feststellen. Nicht anderes meint das Zitat.
Mit freundlichen Grüßen
Franz-Josef Höffmann
@Daniel Schütte, @Franz-Josef Höffmann:
Hmm?! So recht glücklich finde ich diese „Aufklärung“ nicht.
Zunächst vorweg: Was – und in welchem Zusammenhang – der Richter gesagt hat, steht hier nur am Rande zur Debatte. Ich war nicht zugegen und möchte deshalb darüber kein Urteil fällen. Deshalb ist mein Beitrag oben in diesem Zusammenhang bewusst im Konjunktiv gehalten.
Nun zur Frage, was im Artikel steht. Ohne jeden erkennbaren Zusammenhang zitieren Sie, „… homosexuell oder gar pädophil…“ Damit stellen Sie für den Leser – möglicherweise unbeabsichtigt – einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen diesen „Veranlagungen“ her.
Damit bedient der Artikel das Vorurteil, (männliche) Homosexuelle stellten für Kinder und Jugendliche eine besondere Bedrohung dar.
Der Richter hat das Urteil vermutlich ausführlich begründet. Warum er dabei auf die Frage der Homosexualität überhaupt eingehen musste, ist mir zwar unverständlich, aber er wird seine Gründe gehabt haben.
Zu fragen bleibt, warum dieser Satz so prominent und unkommentiert in dem Artikel stehen musste.
Ich sehe das ähnlich.
Er ist sehr schwierig dieser Satz. Dabei sind meines Erachtens nach zwei Wörter sehr unglücklich… „oder gar“ … Als währe Homosexualität schlimm und die Pädophilie (zumindest könnten Außenstehende dies so verstehen) die Steigerung davon. Wie schon angekündigt, werde ich auf die Stellungnahme des LG Oldenburg warten, die mir in den nächsten Tagen zukommen soll.
Doch finde ich schon jetzt, dass in der NWZ diese Problematik klargestellt werden sollte.
So, warten lohnt sich.
Ich habe eine Stellungnahme vom Landgericht Oldenburg erhalten. Der Satz ist so nie gefallen und es ist auch kein Zitat von Richter Jaspert. Folgend nun die Stellungnahme in Auszügen: „Hinsichtlich des von Ihnen angesprochenen Satzes kann ich Ihnen nach Rücksprache mit dem Vorsitzenden Richter mitteilen, dass lediglich während des Prozesses Fragen nach der Motivation des Angeklagten gestellt wurden. Dabei hat das Gericht den Angeklagten u.a. nach seinen sexuellen Neigungen befragt. Angesichts des Tatvorwurfes (u.a. Missbrauch männlicher Minderjähriger) und vor dem Hintergrund des persönlichen Werdegangs des Angeklagten fragte das Gericht, ob und ggf. seit wann der Angeklagte homosexuelle Neigungen habe. Diese Frage wurde vom Angeklagten verneint. Das Gericht fragte angesichts des Alters der Tatopfer sodann nach etwaigen pädophilen Tendenzen. Auch diese wurden verneint. Von den Angaben des Angeklagten abweichende Feststellungen konnten nicht getroffen werden. Es handelte sich damit um getrennte Fragen des Gerichtes an den Angeklagten, die erforderlich waren, um den Tathintergrund festzustellen. Bei der Frage nach etwaigen pädophilen Tendenzen ging es außerdem um die Beurteilung des Gerichts, ob die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich ist.
Für die Frage der Strafzumessung hatten die sexuellen Neigungen des Angeklagten im Ergebnis keine Rolle gespielt, weshalb sie in der Urteilbegründung auch keine Erwähnung fanden, so dass der von Ihnen angesprochene Satz in der mündlichen Urteilsbegründung auch nicht geäußert wurde.“
Somit ist davon auszugehen, dass der Journalist, nicht vernünftig gearbeitet hat. Ich denke der Journalist der NWZ und die NWZ selber sollte diesen Sachverhalt nochmals darstellen!
Grüße
Lieben Dank für die Mühe der Recherche. Bin gespannt, wie die Sache jetzt weiter geht.
Hallo Herr Meinen,
entschuldigen sie die späte Antwort. Mein Fehler, aufgrund einer Tagung habe ich die entsprechende Mail erst heute öffnen können.
Schöne Grüße,
Daniel Schütte
______________
Hallo Herr Meinen, Herr Weitz
Es gilt in der Tat, bezüglich des Gerichtsberichtes über den Vareler Vergewaltiger etwas richtig zu stellen. Als mich die NWZ nach Erscheinen des Textes anrief und fragte, ob das Zitat vom Richter stamme, habe ich – ohne den genauen Hintergrund der Frage zu kennen – „ja“ gesagt. Da aber das „Zitat“ nun so heftig diskutiert wird, ist eine Erklärung nötig.
Vorweg: Ich bin nicht Redakteur der NWZ, ich bin ein freier Journalist, der der NWZ Gerichtsberichte zuliefert. In den letzten 20 Jahren habe ich über 10000 Strafprozesse begleitet und geschrieben, darunter rund 3000 Vergewaltigungs- und Missbrauchsprozesse. Für das, was ich schreibe, muss ich (zumindest in letzter Konsequenz) selber geradestehen.
Bei der Urteilsbegründung im Fall des Varelers war ich wegen anderer Termine im Landgericht nicht mehr anwesend. Ich hatte den Prozess bis zu den Plädoyers verfolgt und musste dann gehen. Das ist nichts Ungewöhnliches. Um das Ergebnis der Verhandlung in Erfahrung zu bringen, habe ich später bei Richter Jaspert angerufen. Er teilte mir dann das Urteil nebst einer kurzen Begründung mit. Weil ich konkret nach einer Motivation des Angeklagten für seine Taten fragte und wissen wollte, ob das Gericht dazu Feststellungen getroffen habe, sagte er mir, dass weder homosexuelle noch pädophile Neigungen festgestellt worden seien. Über das Gesagte habe ich mir keine Aufzeichnungen gemacht, dafür bestand kein Grund.
Stunden später schrieb ich den Text. Weil die Schilderungen der Taten großen Raum eingenommen hatten und ich im Gerichtsbericht zur Motivation des Angeklagten auch etwas sagen wollte und musste, fiel mir der kurze Satz des Richters ein, der für mich in aller Kürze die Sache auf den Punkt brachte. Ich zitierte sogar den Richter, was im Normalfall auch kein Problem ist, handelt es sich in einem derartigen Telefonat durchaus um eine offizielle Nachfrage. Hier ist mir allerdings ein entscheidender Fehler unterlaufen, was mir aber erst im Nachhinein klar geworden ist. Ich hatte während des Schreibens weniger die Worte des Richters im Kopf, denn vielmehr die Problematik des Prozesses. Das „oder gar“ sollte auch keine Steigerung zu „homosexuell“ sein. Im Prozess war es darum gegangen, ob der Angeklagte pädophil ist. Das hatte für mich die Sache brisant gemacht, wegen der Gefährlichkeitsprognose nach einer späteren Entlassung des Mannes aus dem Gefängnis. Das „gar“ sollte die Brisanz hervorheben, war aber mehr als missverständlich. Keineswegs war es meine Absicht, Homosexuelle zu verunglimpfen.
Franz-Josef Höffmann
@Daniel Schütte: Vielen Dank für die Aufklärung. Der Richter ist damit entlastet. Gut so. Schade um den Schnitzer im Blatt. Aber lassen wir es mal dabei.
Lobenswert,
ich freue mich zunächst darüber Herr Höffmann, dass Sie so ausführlich geantwortet haben. Das ist nicht bei jedem so der Fall. Und durch konstruktive Diskussion, ist eine gewisse Aufklärung entstanden.
Vielleicht ist alles einfach sehr unglücklich verlaufen, doch ist es immerzu notwendig, solche Sätze nicht einfach stehen zu lassen. In Zeiten und Gegenden (z.B. Varel) wo solche Sätze gelesen werden, fördert dies nicht unbedingt die sachlichen Informationen bezüglich Homosexualität. Wir müssen einfach auch von dem teilweise existierenden ‚Nicht-Aufmerksam-Leser‘ ausgehen, bei dem solche Sätze gerne mal hängen bleiben.
Nun, ich freue mich, dass Sie den eigenen Anspruch besitzen, eine (Selbst)Reflexion durchzuführen um herauszufinden wo es gehapert hat. Das hat nicht jeder Ihrer Kollegen drauf.
Danke dafür Herr Höffmann.
Und danke Djure für das aufmerksame Lesen deinerseits. Mir wäre das wahrscheinlich entgangen.
Freundliche Grüße