… wenn sie im Interview mit dem Hamburger Abendblatt sagt:
„Wo die Würde eines anderen verletzt wird, endet die eigene Freiheit. Welche Schritte für den Schutz dieser Grenzen notwendig sind, ist Teil einer unverzichtbaren Debatte, um die die Gesellschaft nicht herumkommt.“
Quelle: abendblatt.de
Ja, wir brauchen eine Debatte. Ich finde es bspw. durchaus berechtigt, zu fragen, was es mit einer Gesellschaft macht, wenn immer größere Teile der (männlichen) Bevölkerung unter 35 sich regelmäßig mit sogenannten von roher Gewalt geprägten Spielen befassen. Auch ist es eine nicht triviale Frage, ob und wie man der bewährten Netiquette in sozialen Netzwerken Geltung verschafft? Und die Diskussion wie – nicht ob – wir das Urheberrecht verändern, so dass es den veränderten Gegebenheiten einer vernetzten Welt gerecht wird, muss ebenfalls geführt werden.
Diese Debatte allerdings – verehrte Frau von der Leyen – wird eine schwierige. Vor allem mit weiten Teilen ihrer politischen Klasse, die sich beharrlich weigert, sich mit dem Internet ernsthaft zu befassen.
(Natürlich auch mit manchen, die sich jede Einmischung seitens der Politik verbitten. Doch die sind – auch wenn sie das anders wahrnehmen mögen – in der Minderheit.)
Solange es ihrerseits, Frau von der Leyen, kein ernsthaftes Einlassen auf das Internet gibt, wird es für Sie eine Infrastruktur für Informationsübermittlung bleiben, mit der sie schneller zur Bank gelangen, ihr Quelle-Katalog Sie online erreicht und ihre Briefe in Echtzeit im Nachbarministerium aufschlagen. Gestört wird dieses – „ihr großartiges“ – Internet jedoch von dem sumpfigen Dschungel rechts und links der Schnellstraßen, von dem sie vermuten, dass dort vor allem hemmungslos gemobbt, beleidigt und betrogen werde.
Diese Wahrnehmung ist falsch. In der Tat ist es im Internet immer noch recht unwegsam. Sich dort sicher zu bewegen, erfordert ein klein wenig Übung. Doch ebenso wenig wie die Pioniere des realen Lebens allesamt Halunken sind, tummeln sich im Internet überwiegend Idioten. Im Gegenteil.
Jetzt allerdings wächst eine Generation heran, die fast vollständig mit mindestens einem Bein im Internet steht. Das bereitet nicht nur Ihnen Sorge. Auch unter ihren Widersachern in Sachen Netzsperren sind viele, die sich etwa kritisch mit dem Geschehen ins Netzwerken wie StudiVZ auseinandersetzen. Ich zum Beispiel. Doch aufgrund anderer, intensiverer und besserer Erfahrungen mit dem Internet kommen wir zu anderen Schlüssen als Sie.
Wo Sie vor allem Bedarf an Regeln sehen – und häufig Vorschriften und Verbote meinen -, wissen wir, dass es diese Regeln längst gibt. Sie sind denen ihrer Welt überwiegend ganz ähnlich. Teilweise sind sie noch etwas roh und sie werden nicht überall anerkannt.
Um Ihnen Geltung zu verschaffen, brauchen wir aber in der Regel keine Gesetze und keine Polizei, sondern Courage. Courage von Menschen aller Generationen. Auch und gerade aus Ihrer politischen Klasse, Frau von der Leyen. Doch dazu müssen Sie sich verändern. Und dazu brauchen Sie die Hilfe Ihrer Kritiker.
Ich habe Ihnen nun bereits mehrfach – über Ihren Staatssekretär auch persönlich – das Angebot gemacht, Sie mit ernst zu nehmenden Experten in Sachen Internet zu vernetzen und endlich eine offene Debatte zu führen. Bislang nach meiner Wahrnehmung leider ohne jeden Erfolg. Ich finde das bedauerlich, denn andere Aspekte ihrer Politik zu Beginn der ablaufenden Legislatur, waren ja durchaus sympathisch.
Aber noch ist es vielleicht nicht zu spät. Sie haben zwar jetzt fast alles Porzellan zerschmissen. Dennoch: Geben Sie sich eine Chance. Wir stehen bereit.
Ach ja! Eins noch.
Verehrte Frau von der Leyen. Hören Sie bitte auf, uns als „jugendlich“ zu verniedlichen. Wir sind nicht so jung, wie sie sich das wünschen. Ich zum Beispiel bin fast 40 Jahre alt, habe zwei Kinder, 10 Jahre Berufserfahrung im ganz realen Leben, habe gerade zum zweiten Mal ein Haus gebaut, bin (Vorstands-)Mitglied in mehreren Vereinen und ernte mein Gemüse nicht im Elektronensturm, sondern im eigenen Garten.
Und es gibt manche hier draußen im Internet, die sind noch viel spießiger als ich.
Nachtrag:
Bitte weiterlesen bei den juristischen Hinweisen von Udo Vetter, der Medienkritik des Spiegelfechters, dem akut verstimmten Ralf Schwarz, … , die übrigens auch nicht alle unbedingt jugendlich sind.
Grandioser Artikel!
Habe mich natürlich erstmal gefragt, in wie fern Zensursula Recht haben soll… ;)
Meine Antwort: 48, Arbeitersohn, Soldat auf Zeit, Diplom-Betriebswirt, Angestellter einer Bank (aber kein Banker), Verheiratet. Demokrat, der mit beiden Beinen auf den Schultern eines Regelgiganten steht: Dem Grundgesetz.
Ach ja, bevor ich es vergesse: Wahrscheinlich bin ich auch ein Spießer.
Ursula von der Leyen ist gar um einiges jünger als ich und gleichwohl ich sie nur aus der Ferne kenne: Sie will weder mit uns debattieren, noch wird sie wahrnehmen wollen, daß wir nicht ihre Jugendlichen sind. Sollte sie hingegen noch immer nicht wissen, daß das Internet kein rechtsfreier Raum ist, so dürfte sie den IQ eines Toastbrotes haben. Das schlimme ist, sie weiß es und wird es dennoch immer wieder sagen.
Ich möchte eigentlich vor solchen geschützt werden, die meinen, mich beschützen zu müssen. Das war mir IRL schon immer ein Graus. Solche Leute brauch ich nicht auch noch fürs Internet.
Eine sinnvolle Internetsperre hingegen könnte ich mir denken: Sperrt #Zensursula aus dem Netz! Die Dame kommt dort jedesmal auf dumme Gedanken. Das Netz ist nichts für sie. Jedes Kind kommt besser mit dem Netz zurecht als Ursula von der Leyen.
Ja, passt alles.
Ich hätte da auch 40 Lebensjahre zu bieten, davon 15 Jahre mit Internet, davon 10 Jahre beruflich.
Übrigens bin ich nie „im Internet“. Ich bin im Büro, in der Wohnung, in der Bahn, am Strand, im Café, im Park, bei Freunden. Aber nie im Internet.
Ganz oft benutze ich das Internet aber, während ich im Büro, in der Wohnung […] bin.
Die Diskussion wirkt auf ich immer so, als gäbe es Menschen, die ‚im Internet‘ sind und solche die ‚draußen‘ sind.
Ist es nicht eher so, dass alle ‚draußen‘ sind und sich einige viele davon gerne der Leistungen des Internet bedienen? Muss ja nicht jeder, aber dann auch nicht über jene richten, die damit umgehen können.
Frau von der Leyen ist meiner Meinung nach argumentativ so sehr an der Wand, daß sie keinen Spielraum mehr für „offene“ Debatten hat, zumal sie nicht bereit zu sein scheint hinter die von ihr mit aller Gewalt gezogenen roten Linie, daß jetzt schnell irgendwelche Inhalte gesperrt müßten, zurückzutreten. Wie komme ich zu dieser Einschätzung?
Ich meine alle sachlichen Argumente, die sie angeführt hat, wurden hinreichend widerlegt und diese Tatsache ist im Netz ausnehmend gut dokumentiert. Ich erinnere nur an das Debakel mit dem „Kinderpornoparadies“ Indien, den angeblich so positiven Erfahrungen mit Websperren in Skandinavien, der angeblich fehlenden Befugnis des BKA ausländische Hosting-Provider auf die Tatsache hinzuweisen, daß auf ihren Servern kinderpornographisches Material lagert sowie der angeblichen Unwilligkeit dieser Provider solche Seiten vom Netz zu nehmen.
Und es kommt noch schlimmer. Wie sich im Rahmen der Debatte gezeigt hat, sorgt im Wesentlichen die Bürokratie der involvierten Polizeibehörden von BKA bis Interpol dafür, daß Kinderpornowebseiten gar nicht oder nur nach einer halben Ewigkeit aus dem Netz verschwinden. Zudem wird von Seiten des Familienministeriums der Einwand, daß das meiste einschlägige Material entweder gar nicht im Internet oder zumindest nicht im (öffentlich zugänglichen) Web getauscht wird, mit dem Hinweis „man müßte ja wo anfagen“ und man „muß doch endlich was tun“ vom Tisch gewischt. Von den diversen verfassungsrechtlichen Problemen des Websperrengesetztes möchte ich erst gar nicht reden.
In meinen Augen ist das Familienministerium argumentativ bereits in einer unhaltbaren Situation und eine weitere Debatte muß deshalb vergeblich bleiben. Wenn sie jetzt nach dem 50.ten mal erklären nicht bereit sind einzugestehen, daß sie einen Fehler gemacht haben, warum soll es dann beim 51.ten mal anders sein? Ich denke Frau von der Leyen, die CDU, die SPD sowie Teile der Grünen wollen die Websperren auf Teufel komm ‚raus durchsetzen, obwohl sie wissen, daß sie sinnlos sind. Und das Beängstigende dabei ist, daß für diese Gesichtswahrung ein demokratischer Flurschaden ohne gleichen in Kauf genommen wird, nämlich die Einführung einer generellen Zensurinfrastruktur, die förmlich nach Mißbrauch und Zweitverwertung schreit.
Die letzten Monate haben mein in der Schule angelegtes und zwischenzeitlich schon arg strapaziertes demokratisches Urvertrauen in unser Gemeinwesen endgültig in Mißtrauen verwandelt. Ich spreche der aktuellen Politikerriege die demokratische Gesinnung ab.
@all: Danke für Eure Zustimmung und die Ergänzungen.
@latuernich: Ich denke auch, eine Debatte über Netzsperren zu führen ist erstmal sinnlos.
Die Argumente sind ausgetauscht und die von Seiten der Befürworter sind nicht sehr gut bis an den Haaren herbeigezogen.
Zugegeben keine gute Grundlage für eine Debatte über das Internet insgesamt.
Doch wir müssen uns wohl mit dem Gedanken anfreunden, dass wir erstmal keine grundsätzlich andere Regierung bekommen. Da suche ich doch lieber weiter das Gespräch und vertraue darauf, dass Menschen dazu lernen können.