Wenn sich Politik und Medien zum Thema Internet äußern, dann hat das – vor allem in jüngster Zeit – fast immer einen negativen Zungenschlag. Das Internet wird zwar als irgendwie ganz praktisch hingenommen, doch fast immer findet man Anlass, um auf die verbreiteten Gefahren für Geldbeutel und Seele sowie den faulenden Sumpf abseits der ausgetretenen Wege von E-Mail und Amazon hinzuweisen.
Immer wieder gerne genommen sind die Mahner aus der Karrierebranche. Man solle doch bitte genau überlegen, was man so ins (un)soziale Netz hineinstelle. Personaler könnten schließlich auch Google. Und wie peinlich es denn wäre, im Bewerbungsgespräch mit privaten Fotos konfrontiert zu werden. Peinliches Benehmen auf einer Party, Kraftausdrücke im Chat?! Wer so wenig Anstand hat, könne nicht damit rechnen, einen Job zu bekommen.
Doch ernsthaft betrachtet, gehen diese Warnungen an die falsche Adresse. Nicht die Nutzer sozialer Netzwerke sind es, bei denen es Anstand anzumahnen gilt, sondern bei den Personalern selbst, die sich – womöglich systematisch – auf die Suche nach kompromittierenden Bildern, Videos oder Texten machen.
Die Inhalte sozialer Netzwerke sind – teilweise – zwar öffentlich zugänglich. Doch heißt das wirklich, dass man sich dort ungefragt und ungeniert umsehen darf? Dass man vielleicht sogar Inhalte mitnimmt, für eigene Zwecke missbraucht oder gar gegen den Urheber verwendet?
Man stelle sich diese Unverfrorenheit im realen Leben vor. Keipengespräche würden belauscht, ekstatische Diskotänzer würden von Wildfremden ohne Unterlass angestarrt, die Biere des Herrn am anderen Ende der Theke akribisch gezählt. Intime Gesten und leidenschaftliche Küsse: Außerhalb fensterloser und abgedunkelter Räume undenkbar. Wer wollte ernsthaft in einer solchen Gesellschaft leben.
Dies hier ist kein Plädoyer für schlechtes Benehmen. Wer sich volltrunken von anderen bepinkeln lässt, sollte sich nicht dabei fotografieren lassen. Er sollte über sein Leben nachdenken. Doch der schlimmere Verstoß gegen die guten Sitten ist es allemal, sich solcher privaten Inhalte für professionelle Zwecke zu bedienen.
Statt also immer wieder vor sozialen Netzwerken zu warnen, sollten Karriereberater vielmehr ihren Klienten mit dem nötigen Selbstbewusstsein ausstatten, sich gegen Unternehmen zu entscheiden, deren Personaler offenbar kein Gespür für die Grenze zwischen öffentlich und privat haben. Die haben sowieso keine Zukunft.
Der Text ist inspiriert durch einen Text von @ChrisStoecker bei Spiegel Online, auf den ich via netzpolitik.org aufmerksam geworden bin.
Dazu fällt mir auch direkt Clay Shirkys Satz „They’re not talking to you“ ein (nachzulesen bei Martin Oetting). Und zudem ein gutes Zitat einer Bekannten, die als Personal-Verantwortliche neulich meinte: „Ich würde jemanden eher nicht einstellen, wenn ich von ihm / ihr *keine* Partyfotos finde“ ;)
Sehr wahr. Besonders der letzte Absatz, und hier besonders der letzte Satz.
Meine Erfahrung ist ähnlich wie die von Markus: Ich kenne auch Personalverantwortliche, die es eher befremdlich finden, wenn sie zu aufgeräumte, zu gesäuberte Internetprofile vorfinden. Es geht doch im Kern um umfeldadäquate Kommunikation: Wer als Student nicht feiert, mit dem stimmt was nicht (könnte sein). Wer auf dem Fußballplatz keine Kraftausdrücke benutzt, ist merkwürdig (oft).
Was die Karrierefalle-Profeten vergessen, ist, dass die Gesellschaft noch nicht ausgemacht hat, was in Netzwerken etc. in Ordnung ist und was nicht. Ich halte beide Szenarien für gleich wahrscheinlich: Dass Jobsuchende Probleme haben, von denen zu viele merkwürdige Bilder im Web sind – oder dass es gerade die sind, von denen sich nichts oder nur sehr braves findet.
Denn neben den völlig richtigen Aspekten, die du ansprichst, Djure, will doch niemand einen ängstlichen Mitläufer einstellen, der eine künftige Führungskraft sucht, oder?
Mir fällt gerade auf, dass mein Text die Personaler in den Fokus der Kritik stellt. Das soll jedoch keine generelle Kritik an dieser Profession sein. Vielmehr wollte ich jene bestärken und vor Warnern warnen, die – bis zu einem gewissen Grad – öffentlich privat sind. Kneipengespräche sind nicht verboten. Auch nicht im Internet.
Mir ist es lieber, ich finde Partyfotos als nichts. Wenn ich jemanden nicht im Netz finde, macht mich das stutzig. Hat derjenige etwas zu verbergen?
Allerdings sollten die Daten halbwegs sauber sein. Privatleben ja, gerne. Aber eben keine Bilder, auf denen die betreffende Person im Vollrausch feiert.
Djure, mir ist der Passus in dem Artikel von Christian Stöcker auch aufgefallen. Danke, dass Du das aufgreifst. Vor nicht allzu langer Zeit war genau dieses Thema Gegenstand meines Gesprächs mit einem Personalleiter, dessen Arbeit ausgezeichnet wurde. Er sagte, dass er nicht beabsichtige, das Internet auf das Privatleben seiner Bewerberkandidaten hin zu durchforsten. Ich finde diese Einstellung sehr lobenswert. Auf der anderen Seite sollten junge Menschen nicht unterschätzen, welche Einträge über sie welche Wirkung erzielen, und das nicht nur bei Personalverantwortlichen. Ich denke, dass wir einen Lernprozess erleben: der Personaler von morgen ist der Facebook-Nutzer von heute und wird die Situation anders einschätzen als der Personaler von heute, der Facebook nur dem Hörensagen nach kennt. Spannend finde ich in diesem Zusammenhang das Thema „Waffengleichheit“: Nicht nur Personaler können sich im Internet über ihre Bewerber informieren. Die Kandidaten informieren sich umgekehrt über ihre potentiellen Arbeitgeber. Und auch da gibt es im Netz eine Menge zu entdecken.
@Sachar: Gibt es für Dich denn eine Schamgrenze der Recherche? Ist es überhaupt legitim in den Fotoarchiven des StudiVZ-Profils nach Fotos zu fahnden? Und – Hand aufs Herz – wie viele Kollegen kennst Du, die nicht schon mal im Vollrausch gefeiert haben?