Ach, Herrje. Die Branche streitet mal wieder über Begriffe. Und irgendwo im Hintergrund lauert gleich noch der Kampf um die Deutungshoheit der Disziplinen.
Der nichtige Anlass: Der geschätzte Cem lobt einen „Preis“ für Social Media Kampagnen aus. Ein ohne Frage zweifelhaftes Unterfangen. In etwa so zweifelhaft wie das Einschlagen von Nägeln beim ADC oder die Verleihung eines Deutschen PR-Preises im Rahmen einer unerträglich langweiligen Gala.
Solche Preise auszuloben und später die Pokale zu übergeben macht halt Spaß. Man macht sich durch die Ausschreibung ein bisschen wichtig, trifft sich zum Dinner – oder bei Cem im Blog – um eine Shortlist auszuknobeln und schmeißt zum Abschluss eine große Party. Mit Objektivität oder gar tieferer Erkenntnis hat das kaum etwas etwas zu tun.
Darauf mit einem so bedeutungsschweren Beitrag zu reagieren, wie Sachar es für sein massenpublikum für notwendig befand, ist schon etwas überzogen. Aber jetzt sind Sachars Thesen in der Welt, dann sollten sie auch kommentiert werden.
Social Media ist keine Kampagne, beginnt Sachar seine Kritik. Stimmt. Social Media ist Social Media. Social Media, das sind Kommunikationsmittel wie Blogs, Twitter, Facebook und Youtube. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie auf das Internet setzen und dialogisch angelegt sind. Aus Sicht professioneller Kommunikation ist Social Media eine Toolbox, derer man sich bedient. (Ähnlich argumentiert Igor Schwarzmann.)
Und natürlich kann man mit Social Media Kampagnen machen, wenn man unter Kampagne eine zeitlich begrenzte intensive Nutzung bestimmter Tools zum schnellen Erreichen eines Kommunikationsziels versteht. Ob es sinnvoll ist Social Media für Kampagnen einzusetzen, ohne dass das Unternehmen über besondere Erfahrung mit solchen Tools verfügt, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. (Vgl. dazu auch Mirko Langes Position in den Kommentaren.)
In sofern liegt Sachar richtig, wenn er für den Umgang mit Social Media eine Permanenz fordert. Social Media ist nämlich nicht nur eine Toolbox für Unternehmen, sondern auch ein Kommunikationsraum, in dem fortwährend über Unternehmen, Marken und Produkte gesprochen wird. Für die meisten Unternehmen dürfte daher künftig eine dauerhafte Beobachtung und wohl auch Beteiligung an diesen Gesprächen unerlässlich werden.
Sachars Überlegung Social Media – präsziser wäre wohl Social Media Kommunikation – in Digital Relations umzubenennen, halte ich jedoch für einen gefährlichen Holzweg. Damit reklamiert er Social Media als Domäne der PR(-Abteilungen). Der immer schon kleinliche Streit um die Deutungshoheit für Kommunikation geht mit diesem Begriff in die nächste Runde. Zudem verschleiert der Begriff, dass die wahren Domänen für Social Media Kommunikation wohl in Abteilungen liegen, mit denen sich Werber und PRler nicht so gerne zusammen setzen: Ich meine die Niederungen der Internen Kommunikation und viel mehr noch Vertrieb und Customer Care.
Der Rest von Sachars Beitrag beschäftigt sich im Wesentlichen mit der vermeintlich überkritischen Haltung vermeintlicher Social Media Experten an den Gehversuchen von Unternehmen – namentlich vor allem Vodafone – mit Social Media.
Dazu noch zwei kurze Anmerkungen: Der überwiegende Teil derer, die sich zu Vodafone, Jako oder Jack Wolfskin äußern, tun das nicht oder nicht ausschließlich als Social Media Experten, sondern auch als „Betroffene“. Mich eingeschlossen.
Warum sollten sie in dieser Rolle – wie von Sachar vorgeschlagen – übertriebene Umsicht walten lassen? Zumal dann, wenn die handelnden Unternehmen sich alles andere als umsichtig zeigen. Etwa wenn Vodafone mit einer elefantösen Kampagne ohne jede ernsthafte Vorerfahrung in den Social Media Laden poltert? Ernsthaft. dafür sind mir meine Wattebäuschchen zu schade.
Außerdem: Warum immer diese Empfindlichkeiten? Natürlich werden Vodafails und Abmahntatzen intensiver diskutiert als die vielen leisen Schritte an anderer Stelle. Das liegt an in der Natur der Sache – große Kampagne, großes Scheitern – und der dem Menschen eigenen Freude am Scheitern anderer. Die zugegeben manchmal laute Kritik trifft in aller Regel keine Schwachen und wird nur selten wirklich verletzend.
In diesem Zusammenhang empfehle ich zum Weiterlesen den Beitrag des großen Realisten @prcdv.
(Die Illustration stammt von Matt Hamm und darf unter den hier hinterlegten Bedingungen genutzt werden.)
Bei Lichte betrachtet kloppen sich natürlich verschiedenste Marktteilnehmer um die Deutungshoheit rund um Social Media. Schließlich will jeder seinen Teil vom (vermeintlich?) wachsenden Kuchen abbekommen. Wie man das Kind nun nennt ist in der Tat erstmal zweitranging. Denn die Fragen, die von Kundenseite kommen, sind immer die gleichen:
– Was bringt mir das?
– Worauf kann ich verzichten, wenn ich’s tatsächlich machen will?
– Wie mache ich das?
– Wer soll das machen?
– Wen kann ich feuern, wenn es nicht klappt?
Da ist es m.E. komplett wurscht, ob nun Social Media, Digital Relations oder Online-Dings dransteht.
@tapio: „Online-Dings“ gefällt mir natürlich besonders gut.
Und zu den Fragen (Deiner) Kunden:
Die entscheidende Frage stellen sie (immer noch) nicht. „Was kostet es, es nicht zu tun?“
Am Ende entscheiden sowieso andere darüber, was es ist. Die Kunden, für die es ein Support-Thema sein sollte. Die Mitarbeiter, für die es ein HR-Thema sein sollte. Die Analysten, für die es ein AR-Thema sein sollte. Usw. usf.
Wer meint, es gibt in einigen Jahren putzige „Social Media Abteilungen“ in den Unternehmen, ist so was von gehörig auf dem Holzweg, gehöriger geht gar nicht mehr.
Das wäre nichts anderes als der heutige, klassische PR-Ansatz. Ein schicker Haufen von Menschen wachen über die Veröffentlichung von Themen, von denen Sie nur sehr oberflächlich Ahnung haben. Was will denn so ein Social Media Manager – in Echtzeit! -auf eine Frage antworten, die da lautet: „Warum kann ich im Online-Konfiguratior das Feature X nicht kaufen, ohne das Bundle Y gleich mit zu kaufen?“ Nicht kompliziert genug? Wie wäre es mit einer Frage wie: „Ist meine Bewerbung eigentlich bei euch angekommen? Habe seit zwei Monaten nichts von euch gehört…“
Bei speziellen Fragen könnte so ein Social Media Fuzzi nur die Rolle des Vermittlers einnehmen. Er wäre ein Informationsfilter, der die Kommunikation im Zweifelsfall eher verlangsamt und verkompliziert. Aber genau das will niemand. Gucken wir doch mal in’s Cluetrain Manifesto. Da steht seit 1999 drin:
„We know some people from your company. They’re pretty cool online. Do you have any more like that you’re hiding? Can they come out and play?“
Das ist der Punkt. Social Media ist eine Kulturtechnik. Keine Spezialaufgabe.
Noch ein Wort zu Sachars aka Markus aka @sacharks Posting:
Leider hast Du nicht darauf hingewiesen, dass er auch etwas sehr Gehaltvolles schrieb. Nämlich die Feststellung, dass wir eigentlich von außen gar nicht beurteilen können, ob Social Media erfolgreich oder eben verhängnisvoll eingesetzt wird und wurde. Dazu habe ich bei ihm auch kommentiert, denn ich finde nach wie vor, dass diese Frage zur Zeit die Interessanteste überhaupt ist, was Social Media angeht: Was ist Erfolg und wie können wir ihn messen?
Für die „Experten“ und Twitter-Coaches ist der Fall klar: Schwanzvergleich digital. Das ist aber dumm. Meine Meinung. Und den Tenor habe ich auch bei Sachar herausgelesen, den finde ich gut. Der Rest ist mir egal, „Online-Dingens“ finde ich auch gut.
@Thilo: Danke für den ausführlichen Kommentar.
Der Aspekt „von außen beurteilen“ hat aus meiner Sicht zwei Seiten.
Was eine Maßnahme auf den Unternehmenserfolg einzahlt, kann – wenn überhaupt – nur das Unternehmen selbst beurteilen. Und wie sie das anstellen könnten, darüber ist unbedingt nachzudenken. D’accord. Wenn Vodafone meint zu erkennen, die aktuelle Strategie sei erfolgreich. Bitteschön.
Ob mir bzw. der angesprochenen Zielgruppe das Handeln eines Unternehmens gefällt, lässt sich bei Digital Dingens jedoch relativ leicht an den veröffentlichten Reaktionen ablesen. Um bei Vodafone zu bleiben: Wer außer Sascha Lobo ist seit Kampagnenstart zu rot gewechselt und hat begeistert von seinen Erfahrungen berichtet.
Ich gebe Dir Recht, dass der Kampagnenstart sehr unglücklich war, habe ich ja selbst damals kritisiert. Nur, die Gründe liegen nicht in Social Media oder falscher Anwendung von Social Media, sondern in der Firmenpolitik und -kultur.
Wer nur heiße Luft ausstößt, aber an der undurchsichtigen Tarifpolitik festhält, kann natürlich auch mit Social Media nix reißen.
Trotzdem finde ich den Vodafone-Blog gelungen. Da steht tatsächlich interessantes Zeugs drin. Und auf Kommentare wird auch eingegangen.
Die Strategie, Social Media als Imageträger für ein neues Zeitalter zu verwenden, dass aber gar nicht stattfindet, ist panne, klar. Ich schätze aber, das hat Vodafone auch gelernt.
Und eins muss klar sein: Zu Amnesty International oder Greenpeace werden die nie. Die wollen Geld verdienen, nicht heilig gesprochen werden. Das wird immer Fragen aufwerfen.
@Thilo: Kein Widerspruch.
Danke für den Hinweis auf diese Diskussion, an der ich mich gerne beteilige: http://www.massenpublikum.de/blog/?p=1224&cpage=1#comment-53128