Die Wahl zum Bundespräsidenten gestern hat einmal mehr gezeigt, dass das politische Protokoll und die klassischen Medien von den Herausforderungen der Kommunikationsgesellschaft zunehmend überfordert sind.
Inzwischen dürfte allgemein bekannt sein, dass das Ergebnis des ersten Wahlgangs denkbar knapp war. Mit 613 Stimmen hat Horst Köhler exakt die erforderliche Stimmenzahl erreicht. Um sich dieses Ergebnisses ganz sicher zu sein, hat die Bundestagsverwaltung mehrmals nachzählen lassen. Der Auszählvorgang hat deswegen deutlich länger gedauert als vorgesehen.
Die Zahl 613 machte jedoch offenbar bereits während der letzten Zählung – spätestens jedoch unmittelbar nach deren Abschluss – im Plenum und in der Lobby die Runde.
Bis zur Verkündung des Ergebnisses durch den Bundestagspräsidenten ging jedoch noch geraume Zeit ins Land. Vor allem auch deswegen, weil auf den amtierenden Bundespräsidenten Köhler gewartet werden sollte.
Während dieser Zeit versuchte man sich im Plenum ziemlich verkrampft als „noch total gespannt“ zu inszenieren und auch die ARD suggerierte ihren Zuschauern ein „es ist noch alles offen-Theater.“
Gleichzeitig schleppte die Bundestagsverwaltung haufenweise Blumen in den Plenarsaal und ein Orchester nahm Platz. Außer ein paar ganz Naiven dürfte spätestens dann allen klar gewesen sein, dass der Drops gelutscht ist.
Wie so oft war die Twittergemeinde klar im Vorteil. Mindest zwei Mitglieder der Bundesversammlung (@garreltduin, @UlrichKelber) hatten das Ergebnis längst verbreitet, als sich die Medien immer noch in gekünstelter Schweigsamkeit versuchten. Die Nachricht verbreitete sich schnell (1, 2, 3) und ich war ein Moment lang der Meinung, die ARD könne womöglich gar nicht live senden.
Endgültig zur Farce wurde die Politshow als die ARD sich nicht blöd war, die offenbar bereits informierten Agenturen zu zitieren, als Beleg für die eigene „Vermutung“ der erfolgreichen Wiederwahl.
Natürlich sendete die ARD live, genauso wie andere Fernsehsender oder tickernde Online-Medien. Doch statt die Zuschauer zu informieren, haben sie sich zum Nebendarsteller in dem schlecht inszenierten Theater der Bundestagsverwaltung machen lassen.
Um uns ähnlich unwürdige Vorgänge in Zukunft zu ersparen, sollten sich die Beteiligten eine ehrliche Antwort auf folgende Fragen geben:
- Wieso ist es eigentlich nicht möglich, das Wahlergebnis bis zum Zeitpunkt durch den Bundestagspräsidenten geheim zu halten?
- Wieso weilte der Kandidat Köhler nicht wie die anderen Kandidaten auch im Plenum? Ist er an diesem Tag nicht in erster Linie Kandidat? Und wieso musste für die Verkündigung auf ihn gewartet werden?
- Und was denken sich etablierte Medien wie die ARD eigentlich dabei, eine längst bekannte und auf öffentlichen Kanälen (Agenturen, Twitter) zugängliche Information vor dem „gemeinen“ Volk zurückzuhalten?
Nachtrag: @GarreltDuin kannte die Zahl von einem Journalisten.
Nachtrag II: Auch aus Reihen der CDU wurde das Ergebnis, allerdings nicht die Zahl, getwittert. Und @JuliaKloeckner war sogar beim Zählen dabei.
Nachtrag III: In Reihen von SPD und Grünen gibt es großen Unmut über die „protokollarischen Pannen“.
Du hast recht, das ganze war ein unwürdiges Theater. Auch ungeachtet des Ergebnisses, das wir alle zu respektieren haben.
Natürlich können gerade die Personen, die bei der Auszählung dabei sind schon Ergebnisse wissen. Aber die sollten dann schweigen und es nicht weiter geben – vor allem sollte die meiner Meinung nach federführende Bundestagsverwaltung nicht schon Anzeichen geben, dass das ganze nach der ersten Runde beendet ist. Sprich: Blumen und Musiker waren ein so großer Faux-pas, dass man dafür das Wort Faux-pas erfinden müsste, wenn es das noch nicht geben würde.
Übrigens: Das via twitter das Ergebnis bekannt gegeben wurde fand ich nicht schlimm – sorgte das doch für „Chancengleichheit“ des Volkes (dessen Präsident gerade gewählt wurde) und einzelner Volksvertreter.
PS: Als Treppenwitz der Geschichte empfand ich jedoch die Meldung, dass nur Jamaika Köhlers Erstrundensieg gesichert hat. ;)